Die Seligen Märtyrer vom Münchner Platz
Namenspatrone unserer Pfarrei
1999 sprach Papst Johannes Paul II. sechs Märtyrer selig, die auf dem Gebiet der Gemeinde St. Paulus, in der Richtstätte am Münchner Platz, 1942 bzw. 1943 hingerichtet wurden. Es handelt sich um einen Steyler Missionar, Bruder Grzegorz Boleslaw Frackowiak SVD, und fünf polnische Jugendliche aus Poznań. Sie wurden zum Tode begleitet von Pater Franz Bänsch OMI. Auch im Angesicht des Todes hielten sie unerschütterlich fest an ihrem Glauben an die ewige Seligkeit.
„Die Fünf“
Die fünf polnischen Jugendlichen gehörten zum Salesianer Oratorium in Poznań. Sie verband eine sehr enge Freundschaft, weshalb man sie auch „die Fünf“ nannte. In der faschistischen Besatzungszeit wurden sie der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt, im September 1940 verhaftet, zum Tode verurteilt und am 24. August 1942 gegen 20:30 Uhr in der Dresdner Richtstätte am Münchner Platz hingerichtet. Bis zum Schluss haben sie geglaubt, bis zum Schluss haben sie vertraut, bis zum Schluss haben sie das Gift des Hasses nicht in ihr Herz gelassen. Papst Johannes Paul II. sprach diese fünf Märtyrer 1999 selig.
Notiz des Gefangenenseelsorgers Pater Franz Bänsch OMI
auf der Rückseite eines Gefangenenblattes zu den letzten Lebensminuten von den Fünf und drei weiteren polnischen Gefangenen:
„Alle 8 sind ut hominos sancti in die Ewigkeit gegangen, einer schrieb nach Hause, ich freue mich, sterben zu können. Aus allen Briefen sprach ein unerschütterlicher Glauben an die ewige Seligkeit. Es waren nach der Verkündigung nur zwei Stunden Zeit, in der alle noch einen Brief schrieben, beichteten und kommunizierten. In die letzten Gebete drang ein Wachtmeister in die Zelle und rief: ‚Aufhören, fertig machen!‘ Kurz vor 9 Uhr abends stimmten die Gefangenen ein religiöses Lied an, das sie in ihrer Muttersprache mit verhaltenen Stimmen sangen. Der Wachtmeister drang wieder in die Zelle ein und rief: ‚Aufhören, Singen verboten!‘ Ich war in der Zelle anwesend. Zum Schluss, kurz bevor der erste hinausgeführt wurde, baten sie: Hochwürden, halten Sie das Kreuz recht hoch, damit wir es sehen. Jeder ist stillschweigend zum Fallbeil gegangen.“
Quellen
- Wierni do konca, Marian Orlon („Bis zum Ende treu“)
- Zeichen der Liebe Gottes – Portrais aus der Don Bosco Familie, Teresio Bosco
Czeslaw Jozwiak
(* Lazyn b/Bydgoszcz, 07.09.1919; † Dresden, 24.08.1942)
„Ich sage euch, meine Lieben, dass ich mit Freude ins Jenseits gehe. (...) Gott hat es so gewollt.“
Czeslaw Jòzwiak stand seit seiner Kindheit in Verbindung mit dem salesianischen Oratorium in Poznań. Er war zehn Jahre alt, als er zum ersten Mal dort hinkam. Er besuchte das Gymnasium und erfüllte gleichzeitig die Aufgabe des Animators einer kleinen Jugendgruppe im Oratorium. Bei Kriegsausbruch begann er in einem Kosmetikgeschäft zu arbeiten, weil er die Schule nicht fortsetzen konnte. Er war spontan und voller Energie, aber auch beherrscht, konstant, treu und bereit zum Opfer. Unter der Führung des Direktors Pieschura strebte er bewusst nach christlicher Vollkommenheit. Er verfügte über eine unbestrittene Autorität bei den Jüngeren.
In seinem Abschiedsbrief schreibt er: „(...) Ich muss diese Welt verlassen. Ich sage euch, meine Lieben, dass ich mit Freude ins Jenseits gehe. Mehr als je möchte ich die Freude einer eventuellen Befreiung erfahren. Ich weiß, dass Maria, die Hilfe der Christen, die ich mein Leben lang verehrt habe, mir die Verzeihung Jesu erlangen wird. (...) Der Priester wird mich während der Hinrichtung segnen. Wir haben die große Freude, vor dem Tode noch zusammen zu sein. Alle fünf sind wir in einer Zelle. (...) Ich bitte euch, weint nicht, seid nicht verzweifelt, sorgt euch nicht. Gott hat es so gewollt. Besonders wende ich mich an Dich, Mutti, Liebe, opfere Deinen Schmerz der Gottesmutter der Schmerzhaften und sie wird Dein wundes Herz heilen. (...)“
Edward Kazmiersky
(* Posen, 01.10.1919; † Dresden 24.08.1942)
„(...) Dankt Gott für Seine unbegreifliche Barmherzigkeit. Er gab mir Frieden. (...) Auf Wiedersehen im Himmel.“
Edward Kazmierski, geboren in Poznan, kam aus einer armen Familie, sein Vater Schuster, sofort nach Beendigung der Grundschule musste er in einem Geschäft und dann in einer Mechanikerwerkstatt arbeiten. Er kam schon bald ins salesianische Oratorium und konnte in diesem Klima seine außergewöhnlichen musikalischen Fähigkeiten entwickeln. Von ihm wird eine außerordentliche eucharistische und marianische Frömmigkeit entwickelt. Mit 15 Jahren nahm er an der Wallfahrt nach Tschenstochau teil und legte zu Fuß eine Entfernung von 500 km zurück. Er war Leiter der Don-Bosco-Gruppe und begeisterte sich für die salesianischen Ideale. Lebhaft, ausdauernd in den Entscheidungen, zuverlässig wie er war, sang er gerne in der Kirche, im Chor als Solist. Mit 15 Jahren schreibt er bereits erste eigene Kompositionen. Ausdauer, Zuverlässigkeit, Nüchternheit, Klugheit und Güte werden als seine Charaktereigenschaften bezeichnet.
Edward Kazmierski schreibt in seinem Abschiedsbrief: „Meine geliebte Mutti und liebste Schwestern! Euren Abschiedsbrief habe ich entgegengenommen- (...) Es freut mich sehr, dass Ihr Euch mit dem Willen Gottes ausgesöhnt habt. (...) Dankt Gott für Seine unbegreifliche Barmherzigkeit. Er gab mir Frieden. Mit seinem allerheiligsten Willen ausgesöhnt, werde ich gleich diese Welt verlassen. (...) Ich danke Dir, Mutti, für Deinen Segen. Gott will es so. Er verlangt von Dir dieses Opfer. (...) Ich bitte Euch von ganzem Herzen um Verzeihung. (...) Ich bitte Dich um das Gebet und küsse Dich, geliebteste Mutti, ich küsse Euch. (...) Auf Wiedersehen im Himmel.“
Edward Klinik
(* Werne b. Bochum, 21.07.1919; † Dresden 24.08.1942)
„(...) Jetzt, wo Du Mutti mich nicht mehr haben wirst, nimm Jesus. (...) Weint nicht, denn ich bin schon mit Jesus und Maria zusammen.“
Edward Klinik wurde in Bochum-Werne am 27.07.1919 getauft. Sehr bald muss die Familie wieder nach Poznan gezogen sein. Er macht sein Gymnasium in Auschwitz und Poznan. Während der Besatzungszeit arbeitete er in einer Konstruktionsfirma. Seine Schwester, Sr. Maria, eine Ursulinen-Schwester, bezeugt: Als Edward ins Oratorium ging, vertiefte sich sein religiöses Leben sehr. Er begann, an der Messe teilzunehmen. Er war recht heiter, aber auch furchtsam. Lebhafter wurde er vom Moment des Einritts ins Oratorium an. Er war ein systematischer und verantwortungsbewusster Student. Er tut sich hervor durch Förderung des Engagements auf allen Aktivitätsfeldern des Oratoriums, Verehrung der Eucharistie, marianische Frömmigkeit und Begeisterung für die Ideale Don Boscos.
In seinem Abschiedsbrief schreibt er: „Allerliebste Eltern, Mutti, Vati, Marysia, Henkol (...) Wunderlich sind die Gottesurteile, aber wir müssen uns ihnen fügen, weil alles zum Guten unserer Seele ist. (...) Bis zum letzten Moment war Maria für mich Mutter. Jetzt, wo Du, Mutti, mich nicht mehr haben wirst, nimm Jesus. (...) Meine Lieben, verzweifelt nicht über mich und weint nicht, denn ich bin schon mit Jesus und Maria zusammen.“
Franciszek Kesy
(* Berlin, 13.11.1920; † Dresden, 24.08.1942)
„Gott, der Gute, nimmt mich zu sich. (...) Ich gehe in den Himmel, auf Wiedersehen.“
Franciszek Kesy wurde in Berlin geboren, wo seine Eltern sich aus Gründen der Arbeit befanden. Sein Vater war Tischler. Nach dem Umzug nach Poznan arbeitete er aber in einer Elektrozentrale der Stadt. Franciszek hatte die Absicht, ins Noviziat der Salesianer Don Boscos einzutreten. Während der Besatzungszeit konnte er die Studien nicht fortsetzen. Er fand eine Tätigkeit in einem Industriebetrieb. Die freie Zeit verbrachte er im Oratorium, wo er in enger Freundschaft mit den anderen im Hinblick auf die Ideale sich an der Animation der Jugendgruppen und Aktivitäten beteiligte. Er pflegte die tägliche Messe und Kommunion und den täglichen Rosenkranz.
In seinem Abschiedsbrief schreibt er: „Meine geliebten Eltern und Geschwister .... Es ist der Moment des Abschieds von Euch gekommen und das eben am 24. August, am Tag Marias der Helferin der Gläubigen. (...) Gott, der Gute, nimmt mich zu sich. Trauert nicht, dass ich diese Welt so jung verlasse. Ich bin im Zustand der Gnade, und ich weiß nicht, ob ich später meinem Versprechen treu bleiben werde. (...) Ich gehe in den Himmel, auf Wiedersehen. Dort im Himmel werde ich Gott bitten. ... Betet manchmal für mich. (...) Ich gehe schon.“
Jarogniew Wojciechowski
(* Posen, 05.11.1922; † Dresden 24.08.1942)
„(...) Bringe in jedem Moment Deines Lebens Deine Gefühle nur Jesus und Maria dar, denn bei ihnen findest Du Heilung. (...)“
Jarogniew Wojciechowski ist in Poznan geboren. Das Familienleben war lange Zeit von traumatischen Situationen aufgrund der Alkoholsucht des Vaters geprägt, die mit seinem Weggang aus der Familie endete. Jarogniew war gezwungen, die Schule zu wechseln, und blieb unter der Obhut der älteren Schwester. In dieser Situation fand er Unterstützung im salesianischen Oratorium. Mit Begeisterung nahm er am religiösen Leben und an den Aktivitäten des Oratoriums teil (Ausflüge, Lieder auf dem Klavier) und empfing jeden Tag die heilige Kommunion.
In seinem Abschiedsbrief schreibt er an seine Schwester: „(...) Du bleibst auf dieser Erde nicht allein. Ich und Mutti sind immer bei Dir. Um eines bitte ich Dich, bringe in jedem Moment Deines Lebens Deine Gefühle nur Jesus und Maria dar, denn bei ihnen findest Du Heilung. Überschätze die Menschen nicht zu sehr, weder im Guten noch im Schlechten. Denke nur, was das für ein Glück ist: Ich gehe vereint mit Jesus durch die heilige Kommunion. Bei dieser meiner letzten heiligen Kommunion denke ich an Dich und opfere sie für Dich und mich mit der Hoffnung, dass unsere ganze Familie, ohne Ausnahme dort oben glücklich sein wird. (...) Ich gehe schon und warte dort im Himmel mit der liebsten Mutti. Verzeih, ich kann nicht mehr schreiben.“
Bruder Grzegorz Boleslaw Frackowiak SVD
Bruder Gregor Boleslaw Frackowiak wurde am 18. Juli 1911 in Lowecice / Polen geboren. Er trat am 16. November 1929 in den Orden der Steyler Missionare ein und legte am 8. September 1938, dem Fest Maria Geburt, seine Ewigen Gelübde ab. Seine Oberen übertrugen ihm die Aufgabe des Pförtners im Missionshaus St. Josef in Gorna Grupa/ Polen. Hier beeindruckte er die Gäste wie auch seine Mitbrüder durch seine außerordentliche Freundlichkeit, Bescheidenheit und vor allem durch seine Frömmigkeit.
Als die deutsche Wehrmacht das Missionshaus in Gorna Grupa besetzte und ihn aus dem Hause vertrieb, kehrte er in sein Elternhaus zurück und arbeitete in einem Druckereibetrieb in Jarocin/Polen. Da in Jarocin wiederholt Flugblätter aufgetaucht waren, fand im Herbst 1942 eine Razzia durch die Gestapo statt. Viele Druckereiarbeiter wurden verhaftet, Bruder Gregor konnte jedoch entkommen. Jedermann wusste, was nun den Verhafteten bevorstand.
Bruder Gregor, der an der Herstellung wie an der Verteilung der Flugblätter nicht beteiligt war, beschloss nach reiflicher Überlegung, die Verantwortung für die Flugblattaktion zu übernehmen und sich der Gestapo zu stellen. Dadurch hoffte er, wenigsten das Leben einiger Familienväter zu retten. Dies gelang ihm. Alle Gefangenen wurden freigelassen. Er wurde in Jarocin verhaftet und nach Dresden gebracht. Dort wurde er am 5. Mai 1943 durch das Fallbeil hingerichtet.
Bruder Grzegorz Frackowiak SVD wurde am 13. Juni 1999 zusammen mit den drei Steyler Missionaren Stanislaw Kubista, Alojzy Liguda und Ludwik Mzyk von Papst Johannes-Paul II. seliggesprochen.
Pater Franz Bänsch OMI
Franz Bänsch wurde am 21. März 1899 in Großenhain geboren; nach dem Besuch der Volksschule und des Katholischen Progymnasiums in Dresden bezog er von 1913 bis 1919 die Ordensschule in Valkenburg (Holland), studierte von 1920 bis 1926 Theologie an der Hochschule der Ordensgemeinschaft der Oblaten (Oblati Mariae Immaculatae – OMI) in Hünfeld. Er empfing am 5. Juni 1925 die Priesterweihe.
Am 13. Januar 1935 wurde er als neuer Pfarrer an der Dresdner Kirche St. Paulus in sein Amt eingeführt. Zu seinen Pflichten, die das Pfarramt für die ausgedehnte Gemeinde umfasste – sie zog sich von Dresden-Plauen bis hinaus nach Gittersee zur Stadtgrenze nach Freital –, gehörte fortan auch die seelsorgerische Betreuung der Inhaftierten im nahegelegenen Gefängnis. Zu einer unsagbar schweren Bürde wurde sein Amt aber durch die Hinrichtungen, deren Zahl um 1942/43 immer mehr anstieg.
Wenige Monate, bevor das 25-jährige Bestehen von St. Paulus gefeiert wurde, beging der Pater am 9. Juli 1950 sein silbernes Priesterjubiläum.
Pater Bänsch starb im Alter von 62 Jahren am 8. April 1961. Er wurde auf dem Neuen Katholischen Friedhof, Bremer Straße, beigesetzt – in unmittelbarer Nachbarschaft zu vielen der tschechischen und polnischen Opfer, die dort zwischen 1943 und 1945 ihre letzte Ruhestätte gefunden hatten.
Auf seiner Sitzung vom 28. April 2005 beschloss der Dresdner Stadtrat, den ehemaligen Pfarrer unserer Gemeinde mit einem Straßennahmen zu ehren und somit sein christliches Engagement für Strafgefangene und zum Tode Verurteilte während des zweiten Weltkrieges in Erinnerung zu halten.
Pater-Bänsch-Straße auf dem Stadtplan
Erinnerungen von Pater Franz Bänsch OMI
Die Untersuchungs-Haftanstalt in Dresden George-Bähr-Straße war während des Hitler-Regimes der Schauplatz stillen schweren Duldens und mannhaften Sterbens vieler Deutscher, Tschechen, Polen und sonstiger Ausländer. Die Tschechen kamen zumeist aus Prag-Pankraz oder aus einem der Gefängnisse des Sudetengaues. Die meisten behaupteten, es in Dresden besser zu haben wie in den bisher durchlaufenen Gefängnissen. Die Anstalt machte einen sauberen Eindruck. Die Beamten waren ältere und reifere und daher vielfach auch ruhigere Menschen.
Was die religiöse Betreuung der Gefangenen in der Anstalt anbelangt, so standen dafür ein hauptamtlicher evangelischer Pfarrer, der allerdings in den letzten Jahren wegen Einberufung zur Wehrmacht sich durch einen evangelischen Herrn von der Lukaskirche in Dresden vertreten ließ, und ein nebenamtlicher katholischer Pfarrer zur Verfügung.
Die Tätigkeit des katholischen Geistlichen bestand in der Abhaltung des Gottesdienstes, hauptsächlich aber in den Zellenbesuchen und in der seelsorgerlichen Betreuung der zum Tode Verurteilten.
Leider bestanden verschiedene Bestimmungen, die die Teilnahme am Gottesdienst einschränkten bzw. verboten. Ausgeschlossen waren von der Teilnahme am Gottesdienst Polen, Untersuchungsgefangene, die einen Mittäter hatten, TK-Leute (Todeskandidaten), Strafgefangene, die zu einer mehr als sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt waren.
Letzten Endes hing es vielfach von den Unterbeamten in der Oberaufsicht und den Belegschaftsführern ab, ob einer für den Gottesdienst gemeldet wurde oder nicht. Weil vielfach das religiöse Interesse bei den Beamten gleich Null war, so wurden Meldungen von Seiten der Gefangenen für den Gottesdienst nicht weitergegeben.
Der Geistliche musste durch die Zellenbesuche selbst die Wünsche der Gefangenen erkunden. Und wer nicht Gelegenheit hatte, zur heiligen Messe zu gehen, wofür ein Kapellenraum zur Verfügung stand, der konnte die heiligen Sakramente auf der Zelle empfangen. Für den Geistlichen bestand die Schwierigkeit, die Katholiken herauszufinden. Meistens war ja die Konfession der Inhaftierten in der Zellenliste vermerkt. Aber in der letzten Zeit war man dazu übergegangen, die Konfession überhaupt nicht mehr zu vermerken. Es hatte theoretisch jeder Gefangene das Recht, den Geistlichen zu sich rufen zu lassen. Aber praktisch, wer kam auf die Idee, in einem Nazigefängnis einen katholischen Geistlichen als Anstaltspfarrer zu vermuten. Die TK-Leute, soweit sie in Dresden hingerichtet worden sind, hat der Geistliche so ziemlich alle vor der Hinrichtung sprechen können.
Vor jeder Hinrichtung erhielt er einen telefonischen Anruf, der ihn orientierte darüber. Für die Zellenbesuche bestand größte Freiheit, soweit sie nicht durch Übergriffe von unteren Beamten gestört wurde.
Der Geistliche hatte Gelegenheit, den Gefangenen unter vier Augen zu sprechen. Er hatte auch einen eigenen Zellenschlüssel.
Die Zellen waren verhältnismäßig geräumig. Nur waren sie oft mit drei oder selten vier Mann überbelegt. Zum Inventar gehörte ein Klapptisch mit einer kleinen Sitzbank, ein Bettgestell zum Hochklappen, ein Wasserkrug. An der Wand war ein kleines Holzgestell befestigt für die Essschüssel, Bücher etc. Das Klosett war in der Zelle mit Wasserspülung, die vom Gang aus durch den Zellenwärter in Tätigkeit gesetzt wurde.
Die Zellenwärter hatten überhaupt eine sehr wichtige Aufgabe, die sowohl von Seiten der Beamten als auch von Seiten der Gefangenen als Vertrauensposten betrachtet wurde. Die Zellenwärter konnten den Gefangenen sehr nützen aber auch sehr schaden. Manch ein Zellenwärter hat die Meldung, den katholischen Geistlichen zu sprechen, weitergegeben und hat so seinem Mitgefangenen, der vielfach sein Landmann war, Trost und Glück vermittelt. Andere wurden von den Gefangenen beschuldigt, das Essen ungerecht an die Inhaftierten verteilt zu haben.
Und während man von Tag zu Tag mehr die Anzeichen des körperlichen Verfalls wahrnimmt, kann man nur warten, bis eines Tages eine Belegschaftsnummer gerufen wird; es ist die eigene; und dann hört man den Zellenschlüssel rasseln, drohend und Entscheidung verheißend und hinunter geht's in die Todeszelle. Da weiß man dann Bescheid: Es ist das Ende.
Die Hinrichtungen fanden in den ersten Jahren des Krieges am Morgen statt. Dann war abends zuvor die Verkündigung, in der die Vollstreckung des Urteils bekanntgegeben wurde.
Die TK-Leute wurden einzeln vor den Staatsanwalt geführt. Beim Eintritt in das Zimmer nannte der Aufsichtsbeamte den Namen des Gefangenen. Der Staatsanwalt wandte sich dann mit folgenden Worten an den TK-Mann: Sie sind durch Urteil des Volksgerichtshofes zu - - - vom soundsovielten wegen zum Beispiel Vorbereitung zum Hochverrat zum Tode verurteilt. Der Herr Reichsjustizminister hat im Einvernehmen mit dem Herrn Reichsprotektor für Böhmen und Mähren von seinem Begnadigungsrecht keinen Gebrauch gemacht. Das Urteil wird heute Abend vollstreckt. Haben Sie noch einen Wunsch? Das heißt, wollen Sie schreiben oder den Geistlichen sprechen?
Die meisten wünschten, den Geistlichen zu sprechen, zu schreiben und zu rauchen, was auch immer erlaubt wurde. Die Staatsanwälte sowie der Arzt haben immer wieder betont, dass für Rauchmaterial gesorgt werden möchte. In den allermeisten Fällen haben die Leute auch die Möglichkeit zum Rauchen gehabt.
Dann wurde der TK-Mann in die Todeszelle geführt. Und da meistens noch eine Menge anderer, bis 18/19, das gleiche Schicksal teilten, traf man sich mit seinen Mittätern. Es gab ein meist freudiges Wiedersehen nach vielen Monaten.
Die Haltung der Leute war im Allgemeinen sehr gut und gefasst. In den Wiedersehen mit den Landsleuten lagen viel Trost und innere Beruhigung, die das Bewusstsein der Gemeinschaft verleiht. In der Todeszelle, wo meistens sieben bis neun zusammen waren, hatte man Gelegenheit zum Schreiben. Obwohl zu diesem Zwecke die Fesseln von den Händen gelöst wurden, war es doch ein sehr mühsames Schreiben, da es keinen Tisch in der Zelle gab. Man schrieb an die Wand gelehnt oder auf dem Boden liegend. Und doch wollte man seinen Lieben seine letzten Gedanken, den Ausdruck seiner ewigen Liebe übermitteln.
Gegen 12 Uhr kamen die Zellenwärter mit dem Essen. Es war gering wie immer. Ein guter Wachtmeister ließ wohl zuweilen noch etwas Brot bringen. Hier war für den Geistlichen die letzte Gelegenheit, den Gefangenen noch eine kleine Zukost zu geben, soweit er dazu in der Lage war. Jedenfalls hat er immer für Zigaretten gesorgt. Und welch eine erstaunte Freude zeigte sich auf dem Gesicht der Tschechen, wenn sie eine tschechische Marke erhielten, eine Zigarette, der letzte Gruß aus der Heimat.
Soweit die Leute noch einmal zur heiligen Beichte gehen wollten, hatten sie dazu nach dem Briefschreiben Gelegenheit. Zu diesem Zwecke führte der Geistliche sie auf eine Sonderzelle, wo er mit jedem allein sprechen konnte. Am Nachmittag fand dann die gemeinsame Kommunionfeier in der Todeszelle statt. Diese Kommunionfeiern gehören mit zu dem Ergreifendsten, was man erleben konnte. Es war wie in den Katakomben der ersten christlichen Zeit. Um einen kleinen Tisch, der zu diesem Zweck in die Zelle gestellt wurde, geschart, standen die Männer um den Priester der ihnen den Leib des Herrn reichte. Zuerst betete ein Vorbeter die Vorbereitungsgebete in der Muttersprache vor. Und mit welcher Inbrunst haben da manche gebetet. Dann beteten alle zusammen das Glaubensbekenntnis und das Vater unser. Wie ganz anders klingen da, kurz vor dem Sterben, diese göttlichen Worte: „Vater, Dein Wille geschehe!“ Wenn der Geistliche in eine Zelle eintrat, so lag vielfach ein gewisses Staunen auf dem Gesicht des Gefangenen, der auf alles andere gefasst war, nur nicht einen katholischen Geistlichen im Gefängnis als Besuch empfangen zu können. Zuweilen rief das plötzliche Auftauchen des Geistlichen in der Zelle einen lähmenden Schrecken hervor, besonders bei den TK-Leuten, die dann gleich vermuteten, dass ihr Gnadengesuch abgelehnt worden sei und die Vollstreckung des Urteils vor der Türe stand. Sehr oft aber schlug dem Geistlichen eine ganz tiefe, dankbare Freude entgegen von jenen, die gerade das als letzten Wunsch auf der Seele trugen, vor dem Sterben noch einmal einen katholischen Geistlichen sprechen zu können. Sehr selten ist es vorgekommen, dass der Geistliche abgewiesen wurde. Sehr viele, die früher einmal aus der Kirche ausgetreten waren, verlangten, den Schritt wieder rückgängig machen zu können. Es sind sogar eine ganze Anzahl von Gefangenen vom Geistlichen getauft worden, nachdem sie, den Verhältnissen entsprechend, kurz darauf vorbereitet worden sind. Der Seelsorger konnte überhaupt mit großer Befriedigung feststellen, welch großes Vertrauen er als jener der Kirche bei allen Inhaftierten besaß. Mit ihm wurde alles besprochen: die Erinnerungen aus der Jugend, die Vorgänge in der Heimat, die Entwicklung der Strafsache, der Verlauf des Krieges.
In den letzten Monaten des Krieges wuchs naturgemäß die Spannung bei den Gefangenen und die Hoffnung, dass das Ende des Krieges ihnen die ersehnte Freiheit bringen würde. Einen gewaltigen Schritt voran zur Erfüllung der kühnsten Hoffnungen diesbezüglich brachte die Schreckensnacht vom 13. auf den 14. Februar 1945. Der Angriff in der Nacht brachte wohl nur einen kleinen Dachstuhlbrand, der gelöscht wurde. Jedenfalls, wie der katholische Geistliche sich in der Nacht noch überzeugte, war das Zellenhaus in keiner Weise beschädigt und die Gefangenen waren alle ruhig auf ihren Zellen. Erst der Angriff am Donnerstag, dem 15. Februar 1945 brachte Volltreffer in das Rundteil und in den C-Flügel, wo auch einige, vermutlich sechs, Tote zu beklagen waren. Daraufhin wurden die Gefangenen alle mit Ausnahme der nicht Transportfähigen in Marsch gesetzt nach Meißen, von wo der Transport per Eisenbahn nach Leipzig weitergeführt wurde.
Auf diesem Transport sind wohl gegen 150 Gefangene ausgerissen. Andere, wie zum Beispiel Dr. Hruban, sind infolge der Überanstrengung gestorben. General Josef Dostal, der als TK-Mann den Marsch mitgemacht hat, ist umgebracht worden. Am 8. Februar ist die letzte Hinrichtung durch Fallbeil in Dresden gewesen.
Die TK-Leute erforderten eine besondere Betreuung durch den Geistlichen. Sie waren zumeist zum Nichtstun verurteilt und langsam, langsam kroch die Zeit dahin. Ein wahres Martyrium für einen geistig regsamen Menschen.
Insofern war es gut, wenn man einen Kameraden als Leidensgefährten mit auf der Zelle hatte. Manchmal war ein solcher natürlich auch eine starke Belastung, wenn die Charaktere nicht zusammenpassten. Da wurde das gemeinsame Leid besprochen. Immer wieder wurde die Strafsache zum Gesprächsstoff gemacht. Man dachte an zu Hause. Man nahm zum hundertsten Male die Briefe zur Hand, die man schon auswendig konnte. Heiße Liebe und Sehnsucht weckten die Fotos, die tröstende Hände in die Briefe gelegt hatten. Man besprach wohl auch die Möglichkeit einer Rettung. Vielleicht stand das Wort „ausbrechen“ in fiebernden Lettern vor dem erregten Geiste. Aber wie? Man möchte meinen, aus so einer modernen Anstalt könnte man nicht ausbrechen, und doch haben es einige zuwege gebracht. Und wenn das ganze Innere der Seele sich gegen so eine entehrende Todesstrafe, wie sie bevorstand, aufbäumte, dann wird in manchen Hirnen der Gedanke, sich selbst das Leben zu nehmen, als rettender Ausweg gestanden haben. Welch eine Seelenfolter bedeutet es, nicht nur wochenlang, nein monate-, ja jahrelang auf die Vollstreckung des Urteils warten zu müssen; und dabei Tag und Nacht gefesselt zu sein, ohne genügende Bewegung, ohne sinnvolle Beschäftigung, ohne jede Möglichkeit, mit der Außenwelt in Berührung zu kommen!
Nach der heiligen Kommunion wurden wieder vom Vorbeter die Danksagungsgebete gesprochen. Da glänzten in den Augen der Männer die Tränen stiller innerer Ergriffenheit und stillen Glückes. Die Erklärung und Erteilung des päpstlichen Segens, der mit einem vollkommenen Ablass in der Sterbestunde verbunden ist, beschlossen die Feier. Dann stand man auf, reichte sich gegenseitig die Hand, gab sich einander den Abschiedskuss. Jetzt war man für die große Reise in die Ewigkeit gerüstet. Man blieb still in sich gekehrt und betete. Eine halbe Stunde vor der Hinrichtung, die gewöhnlich um 18 Uhr begann, wurden die Leute fertig gemacht. Das heißt, man zog alles aus bis auf die Hose. Die Hände wurden auf dem Rücken gefesselt. So wartete man auf seinen letzten Gang. Die Leute behielten in den allermeisten Fällen die herrliche Ruhe, die sie sich bei der Kommunionfeier geholt hatten. Man stellte sich in der Reihenfolge auf, wie man aufgerufen worden war.
Wenn draußen auf dem Gang die Herren vom Gericht vorbei zum Hinrichtungsplatz im Hof schritten, dann trat der erste vor den Geistlichen, der mit in der Todeszelle blieb, empfing den letzten Segen und die Generalabsolution und mit einem letzten mutigen Gruß trat er seinen letzten Gang an. In der Zwischenzeit, bis der nächste an die Reihe kam, beteten die Kameraden zusammen das Vater unser für den, den man gerade zum Tode geführt hatte. So gingen sie in den Tod, die Männer, die meistens in der Liebe zur Heimat, für Recht und Gerechtigkeit gearbeitet und gekämpft hatten.
Seltener wurden Frauen hingerichtet. Diese waren in einer Zelle für sich und wurden vor den Männern hingerichtet.
In der ersten Zeit, wo gewöhnlich nur ein TK-Mann hingerichtet wurde, begleitete der Geistliche den Betreffenden von der Todeszelle bis zum Schafott. Bei Hinrichtungen von mehreren war das aber unpraktisch und wurde später auch von der Gerichtsbehörde untersagt. Bis 1943 sind die meisten Leichen der Hingerichteten in die Anatomie nach Leipzig oder Halle gekommen. Ob die Überreste auf einem dortigen Friedhof beigesetzt worden sind, konnte nicht ermittelt werden. Seit 1943 sind die meisten der Hingerichteten auf einem der Dresdner Friedhöfe begraben worden. Die Katholiken auf dem Äußeren katholischen Friedhof auf der Bremer Straße. Die glaubenslosen und evangelischen Christen sind auf dem Johannisfriedhof in Dresden-Tolkewitz begraben worden.
Die Gräber auf dem katholischen Friedhof werden nach Möglichkeit gepflegt. In jedem Grabe stehen vier Särge übereinander. Jedenfalls ist dort jede Grabstelle genau gekennzeichnet.
Da ruhen sie nun, die Männer, die in einer Zeit lebten, wo man das Menschenleben nicht mehr hochschätzt, die aber in Frieden mit Gott und den Menschen in die Ewigkeit gegangen sind. Sehr viele haben es dem Geistlichen ausdrücklich gesagt, dass sie, die Tschechen, den Deutschen nichts Schlechtes wünschen; dass sie nur fürchten, wie schwer es sich an dem deutschen Volke rächen wird; dass sie sterben für eine versöhnte und friedvolle Welt. Fast alle Tschechen äußerten den Wunsch, in der Heimaterde begraben zu werden.
Pater Franz Bänsch OMI über „Die Fünf“
Als die Stunde kam...
Die fünf jungen Männer Czeslaw Jozwiak, Edward Kazmierski, Jarogniew Wojciechowski, Franciszek Kesy und Edward Klinik waren gute Freunde. Sicherlich lag es daran, dass sie sich teilweise schon als Schüler im Oratorium der Salesianer Don Boscos in Posen kennen gelernt hatten und nun selbst in der katholischen Jugendorganisation engagiert waren. Neben ihren privaten und beruflichen Plänen war es das Vorbild Don Boscos, das sie zusammenbrachte und ihr Leben wesentlich mitbestimmte: Anfang 1940 traten sie in die regionale Untergrundbewegung „Freiwillige Armee der Westlichen Gebiete“ ein und kamen im September in Haft. Edward Klinik wurde am 21. September während seiner Arbeit verhaftet. Die anderen Verhaftungen folgten zwei Tage darauf. Von Beginn ihrer Gefängnisaufenthalte an mussten sie den Hohn und die Verachtung der Gestapo spüren. Hinzu kam der Hunger und die Unsicherheit über das, was mit ihnen passieren sollte.
Im April 1941 erfolgte die Verlegung nach Berlin-Spandau. Dies war der erste Ort, wo sie etwas mildere Haftbedingungen erlebten. Nun gab es sogar Zeit für das gemeinsame Beten und Singen; sogar Zeitungen und Bücher durften sie lesen. Die Nachfolge Christi von Thomas von Kempen wurde ihre wichtigste Lektüre.
Im Mai 1942 erfolgte die Verlegung in das Zuchthaus nach Zwickau, das ausschließlich für politische Gefangene bestimmt war. Waren hier die Unterbringung und die Art der Arbeit zwar um ein vielfaches drückender und härter, so schauten die Freunde doch voller Zuversicht nach vorne, bald das Gefängnis verlassen zu dürfen. Ihre Hoffnung wurde durch die Entlassung eines Zellengenossen gestärkt und spiegelte sich in ihren Briefen wider.
Der Verhandlungstermin vor dem Strafsenat des Oberlandesgerichts aus Posen sollte am 1. August 1942 auf einer Reisesitzung in Zwickau stattfinden: Angeklagt wegen Vorbereitung eines Staatsstreichs zwecks Trennung eines Teils des deutschen Staates vom Reich. Die Verhandlung dauerte nur kurz und noch kürzer fiel die Beratung aus. Dann mussten die jungen Männer ein Urteil entgegennehmen, das sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf: Wegen Hochverrats wurden die fünf jungen Männer zum Tode verurteilt. Die letzte Station ihres Martyriums führte sie nach Dresden. Am 24. August 1942 zwischen 20 und 21 Uhr, so hatten es ihnen die Verantwortlichen mitgeteilt, sollten die Urteile vollstreckt werden.
Es war ein heißer Tag wie im Hochsommer, den die fünf jungen Männer hinter den dicken Mauern der Todeszelle im Landgericht am Münchner Platz aber nicht spürten. Ihre letzten Briefe an die Eltern und Geschwister entstanden hier. Im Angesicht des Todes schrieb Franciszek Kesy: „Meine geliebten Eltern und Geschwister! Es ist der Moment des Abschieds von Euch gekommen und das eben am 24. August, am Tag Marias der Helferin der Gläubigen... Gott der Gute nimmt mich zu sich. Trauert nicht, dass ich diese Welt so jung verlasse. Ich bin im Zustand der Gnade und ich weiß nicht, ob ich später meinem Versprechen treu bleiben würde ... Ich gehe in den Himmel, auf Wiedersehen. Dort im Himmel werde ich Gott bitten ... Betet manchmal für mich ... Ich gehe schon.“
Als man in der Zelle Nr. 3 die Schritte aus dem Gang hörte, erhoben sich die jungen Männer und gaben sich wortlos die Hand, um gemeinsam den letzten Weg zum Schafott anzutreten.